Künstliche Intelligenz: War Erwin Rommel nun ein Widerstandskämpfer oder nicht? - WELT (2024)

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Beim Thema Zweiter Weltkrieg geht sogar der leistungsfähigste Bibliothekskatalog der Welt in die Knie. Kein Wunder, verfügt die Library of Congress in Washington D.C. doch insgesamt über 38,8 Millionen Bücher in 470 Sprachen (die nächstgrößere Bibliothek, die British Library in London, hat immer noch 25 Millionen eigenständige Titel). Will man sich anzeigen lassen, was die Bibliothek des US-Kongresses zum Stichwort „World War 1939-1945“ vorrätig hat, liest man eine automatisch generierte Anzeige: „Your search retrieved more records than can be displayed. Only the first 10,000 will be shown“ (zu Deutsch: „Ihre Suche hat mehr Einträge ergeben, als angezeigt werden können. Es werden nur die ersten 10.000 angezeigt“). Und dabei geht es nur um Bücher, also eigenständige Veröffentlichungen, nicht um die schier zahllosen Aufsätze.

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Die Menge an publizierten Texten über den Zweiten Weltkrieg ist so immens, dass niemand mehr sie auch nur annähernd überblicken kann. Seit mehr als einem Jahrzehnt weichen daher Wissbegierige immer öfter auf die Online-Enzyklopädie Wikipedia aus, wenn sie sich über 1939 bis 1945 informieren wollen.

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Online-Enzyklopädie

Wikipedia. Lügen mit System

Das ist durchaus komfortabel, weil man hier im Volltext suchen kann. Doch eine wirkliche Enzyklopädie ist dieses Instrument eigentlich gerade nicht, denn anders als klassische Lexika ist das bei Wikipedia präsentierte Material nicht von Fachleuten geprüft; im Gegenteil kann fast jeder fast alles hineinschreiben. Auch die oft beschworene „Schwarmintelligenz“ kann diese grundlegende Schwäche nicht ausgleichen: Wer sich auf Wikipedia verlässt, ist gerade bei potenziell umstrittenen Themen oft verlassen.

Die technische Entwicklung hat einen neuen Weg eröffnet: künstliche Intelligenz. Wiewohl in aller Munde, ist doch vielen nicht klar, worum es sich handelt. Spezielle Software und enorme Rechenleistung ermöglichen es, dass man konkrete Fragen stellt, die automatisch analysiert und „verstanden“ werden. Dann sucht die jeweilige Software in den ihr zur Verfügung stehenden Materialien nach Antworten und formuliert sie.

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Interaktive Übersicht

WELTGeschichte – Der Zweite Weltkrieg

Für WELTplus-Abonnenten bietet WELT ab sofort eine solche Funktion an, die WELTgo! heißt (Das Angebot ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in der App nutzbar. Nutzen Sie bitte vorerst einen Browser). Und weil der Zweite Weltkrieg ein wichtiges Thema für den History-Channel WELTGeschichte ist, kann man bereits zum Start WELTgo! Fragen zum Zweiten Weltkrieg stellen. Grundlage der Antworten sind Artikel, die WELT in den vergangenen knapp 30 Jahren (seit dem Start von WELT-Online am 17. Mai 1995) zum Thema Zweiter Weltkrieg publiziert hat – insgesamt sind es mehr als 1400 verschiedene Texte. Viele davon wertet WELTgo! aus, wenn dem KI-Assistenten eine Frage zum Zweiten Weltkrieg gestellt wird.

Die Antworten sind nicht festgelegt, sondern werden jeweils neu formuliert. Das kann man einfach ausprobieren, indem man zweimal direkt nacheinander dieselbe Frage stellt. Zum Beispiel: „Was muss man über den Zweiten Weltkrieg wissen?“

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Polen-Feldzug

Sogar die Wehrmacht war vom Blitzsieg überrascht

Die erste Antwort beginnt: „Der Zweite Weltkrieg, der von 1939 bis 1945 dauerte, ist eines der prägendsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts und hatte weitreichende Auswirkungen auf die globale Geschichte. Hier sind einige Schlüsselaspekte, die man über den Zweiten Weltkrieg wissen sollte.“ Dann folgen acht einzelne, kurz angerissene Themen wie „Ursachen“, „Hauptakteure“, „Schlüsselereignisse“ oder „menschliche Kosten“.

Beim zweiten Versuch antwortet WELTgo!: „Der Zweite Weltkrieg, ein zentraler Wendepunkt des 20. Jahrhunderts, ist durch seine globale Dimension, die Vielzahl der beteiligten Nationen und die Tiefe seiner Auswirkungen auf die Weltgeschichte gekennzeichnet. Hier sind einige grundlegende Fakten, die ein umfassendes Verständnis dieses Konflikts vermitteln.“ Wieder schließen sich acht Unterpunkte an, diesmal allerdings unter anderem „Zeitraum“, „Achsenmächte gegen Alliierte“ und Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen“.

Die Stärke von künstlicher Intelligenz liegt allerdings nicht in den Antworten auf so allgemeine Fragen, die man tatsächlich ähnlich in gängigen Handbücher findet (in der zusätzlich zu allen anderen Problemen längst ausufernenden Wikipedia allerdings nicht mehr derartig gerafft). Vielmehr vermag ein Instrument wie WELTgo! Informationen spezifisch aufzubereiten.

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Einfach ist noch die Frage: „Was geschah im April 1944?“ Die Antwort verweist erstens auf die Vorbereitungen zur „Operation Overlord“, der Landung der Westalliierten in der Normandie, zweitens auf den Fortgang der sowjetischen Frühjahrsoffensive an der Ostfront, drittens auf die heftigen Kämpfe in Italien, vor allem um Monte Cassino, viertens auf den Luftkrieg gegen deutsche Städte und fünftens auf die steigende Bedeutung von Widerstandsbewegungen gegen deutsche Besatzungstruppen. Stellt man die Frage erneut, gibt es ein mehr oder minder stark abweichendes Ergebnis.

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Will man wissen, was Generalfeldmarschall Erwin Rommel im Frühjahr 1944 tat, so verweist WELTgo! auf seine zentrale Rolle bei den Abwehrbemühungen in Nordfrankreich und seiner Überzeugung, dass der Gegner unbedingt bereits „am Strand gestoppt“ werden müsse – eine Sichtweise, in der Hitler ihm zuerst widerwillig, später gar nicht mehr folgte.

Woran sich als nächste Frage logisch anschließt: „War Rommel ein Widerständler?“ Das ist ein aktuell in der seriösen Forschung umstrittener Aspekt. Der Potsdamer Historiker Peter Lieb zum Beispiel attestiert Rommel einerseits eine „persönliche Nähe zum NS-Regime“ und eine erhebliche „militärische Begabung“; erst beides zusammen habe Rommels „kometenhafte Karriere“ ermöglicht. Andererseits sei er zwar nicht dem „engsten Kreis der Männer des 20. Juli“ zuzurechnen, jedoch trotzdem „mehr als nur ein reiner Sympathisant“ des Widerstandes gewesen, wofür er mit dem Leben bezahlte.

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„Wüstenfuchs“

Was für Erwin Rommel spricht – und was gegen ihn

Anders gewichtet Peter Steinbach, seit vielen Jahren wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Er kommt zum Ergebnis, dass der populäre General zumindest mitverantwortlich für die verbrecherische Kriegspraxis der Wehrmacht gewesen sei. Von Steinbach ist noch für 2024 ein neues Buch über Rommel angekündigt, das die „Ambivalenz seines Verhaltens“ schildern und einen „kritischen Blick auf die Wirkungsgeschichte eines deutschen Generals“ lenken soll.

Und was macht WELTgo! daraus? Der digitale Assistent legt sich nicht fest: „Die Frage, ob Erwin Rommel, der berühmte deutsche Generalfeldmarschall des Zweiten Weltkriegs, als Widerständler gegen das NS-Regime betrachtet werden kann, ist komplex und Gegenstand anhaltender historischer Debatten. Rommel war zweifellos einer der fähigsten und angesehensten Militärbefehlshaber Deutschlands, doch seine Beziehung zum Widerstand gegen Adolf Hitler ist nuanciert.“ Die bemerkenswert differenzierte Antwort führt das mehrere Absätze lang aus und schließt dann: „Die Bewertung seiner Rolle bleibt jedoch umstritten, da er auch Teil des militärischen Systems war, das das NS-Regime unterstützte.“

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Das Beispiel illustriert die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen künstlicher Intelligenz: Liegt hinreichend seriöses Wissen digital vor, das verarbeitet werden kann, in diesem Fall vor allem bei WELTGeschichte, vermag die Software deutlich differenziertere Antworten zu geben als der entsprechende Wikipedia-Artikel, in dem bestenfalls verschiedene Wertungen nebeneinander stehen. Zugleich jedoch kann ein Assistent wie WELTgo! niemals die Arbeit an (Archiv-)Quellen ersetzen, die Grundlage jedes kompetenten historischen Urteils ist.

Denn auch wenn das gedruckte, teilweise bereits digitalisierte Material zum Zweiten Weltkrieg jeden Bibliothekskatalog zur Kapitulation zwingt: Den wesentlichen Schritt, sich über Ereignisse der Vergangenheit eine faktengestützte Meinung zu bilden, kann auch WELTgo! nur unterstützen, niemals aber ersetzen.

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